Für das Jahr 2023 hatte ich keine große Reise geplant und mir deshalb vorgenommen, stattdessen Kurzreisen und Tagesausflüge in die nähere und weitere Umgebung Leipzigs zu unternehmen. Am 22. Juli wollte ich eigentlich eine Tagesfahrt nach Bad Schandau machen und zwar mit dem Zug hin und mit dem Dampfer auf der Elbe bis Dresden zurück. Das Ticket war schon gekauft. Dann am 18. Juli wurde die Fahrt mit dem Schiff storniert, weil der Wasserstand der Elbe momentan zu niedrig ist. Also musste ich mir etwas anderes für den Samstag überlegen. Ich entschloss mich, zur Kirchenruine nach Wachau zu fahren. Ich hatte schon so einiges über diesen Ort gelesen und auch Fotos im Internet gesehen. Unter dem Stichwort ‚Lost Places‘ ist allerlei zu finden.
Wachau ist seit 1994 Stadtteil der Kleinstadt Markkleeberg die im Landkreis Leipzig liegt unmittelbar an die Stadtgrenzen Leipzigs anschließend und damit im ehemaligen Braunkohletagebaugebiet, dem heutigen Neuseenland.
Bei inzwischen deutlich geringeren und damit angenehmeren Temperaturen als noch in der vergangenen Woche, steige ich am Samstagmorgen in die Straßenbahn Linie 11, fahre bis zur Endstelle Markkleeberg und von dort 4 Stationen mit dem Bus 106 nach Wachau. Die gesamte Fahrt dauert etwa 45 Minuten.
Die Ruine ist gar nicht zu verfehlen, als ich aus dem Bus steige, sehe ich schon den Kirchturm.
Nach wenigen Metern auf dem Kirchplatz angekommen, erblicke ich einen großen, grauen Quader.
Es handelt sich um das so genannte Wachtberg- Denkmal, das sich auf dem Wachtberg bei Magdeborn befand.
Vom Wachtberg aus beobachteten Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, der russische Zar Alexander I. sowie der österreichische Kaiser Franz I am 6. Oktober 1813 den Verlauf einer der entscheidenden Schlachten während der Völkerschlacht bei Leipzig.
Ende der 1970iger Jahren musste Magdeborn dem Braunkohltagebau weichen, der Stein blieb zunächst wo er war bis er 1982 umgesetzt worden ist.
Dieses ‚Denkmal‘ lässt im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur an zwei wichtige lokalhistorische Ereignisse denken sondern auch an die Geschichte dieser Kirche.
Die Völkerschlacht bei Leipzig führte nicht nur zu großen Verlusten in der Bevölkerung sondern hinterließ auch große Schäden in den Ortschaften.
Die Kirche in Wachau, bereits im späten 14. Jahrhundert erstmalig urkundlich erwähnt, war nach dieser Schlacht stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Gemeinde bemühte sich erfolgreich um eine neue Kirche. 1865 begannen die Bauarbeiten des Neubaus im Neogotischen Stil. Zwei Jahre später wurde die Kirche geweiht.
Der Neubau stand jedoch unter keinem guten Stern. Die Geschichte und vor allem das Wetter setzten dem Gotteshaus erheblich zu. Bereits im Jahr der Einweihung wurde bei einem Sturm der Turm schwer beschädigt, 4 Fialen (Spitztürmchen) stürzten ab und mussten repariert werden.
Bis zum zweiten Weltkrieg hatte die Kirche mehr oder minder Ruhe. Zuerst wurden die Bronzeglocken Opfer der Rüstungsindustrie, 1943 zerstörte die Druckwelle eines ganz in der Nähe abgeworfenen Sprengkörpers das Dach des Kirchenschiffes und etliche Fenster. 1945 wurden schließlich der Turm und die Sakristei von einer Brandbombe getroffen.
Nach dem Krieg fehlten sowohl der Wille als auch das Geld, um das Kirchengebäude wieder aufzubauen. Genutzt wurde die Kirche trotzdem für ein paar weitere Jahre. 1956 wurde das letzte Paar dort getraut.
1974 schlug der Blitz im Turm ein und hinterließ schwere Schäden. Die Spitze wurde daraufhin abgerissen. Die Trümmer wurden einfach auf das Gewölbe geschüttet, das schließlich unter der Last zusammenbrach. Man dachte sich wohl, dass sich eine Sanierung eh nicht lohnen würde, weil auch Wachau, wie so viele andere Orte vorher, dem Braunkohletagebau zum Opfer fallen würde. Dieses Schicksal blieb jedoch dem Ort letztendlich erspart.
Nach der Wiedervereinigung wurde die Ruine unter Denkmalschutz gestellt.
Seit mehr als 10 Jahren engagieren sich die Mitglieder des Vereins Kirchenverein-Wachau e.V. um Erhaltungsmaßnahmen, organisieren Konzerte und andere Veranstaltungen, wie z.B. Ausstellungen.
Bevor ich hinein gehe, umrunde ich erst einmal die Ruine
und setze mich anschließend auf eine Bank und lasse die Umgebung auf mich wirken.
Mir war nicht bewusst gewesen, dass sich die Ruine mitten im Dorf befindet und nicht irgendwo außerhalb. Keine der Beiträge, die ich gelesen hatte, nahm Bezug auf den Ort sondern ging lediglich auf die Ruine selbst ein. Im Verhältnis zur Größe des Dorfes wirkt die Kirche überaus stattlich. Und wenn ich mir noch vorstelle, dass der Turm mit Spitze 65m hoch war, erst recht.
Was mir auch noch aufgefallen ist, ringsherum um die Kirchenruine gibt es noch einen Friedhof, also einen Kirchhof im wahrsten Sinne des Wortes. Ich kannte bis dato nur Friedhöfe mit eigener Kapelle weit abseits von Kirchen, was ja auch Sinn macht wegen der unterschiedlichen Konfessionen.
Nach dieser kurzen Pause gehe ich in das Kirchenschiff hinein.
Während ich da stehe und staune, erhalte ich eine Nachricht meiner Gartennachbarin. Sie fragt an, ob ich Lust auf eine Rundfahrt per Schiff auf dem Markkleeberger See habe. Hatte ich, sie holt mich ab und so komme ich doch noch zu meiner Schifffahrt.
Falls jemand mal zufällig vorbeikommt, dem kann ich nur empfehlen einen Stopp einzulegen. Es lohnt sich!
Aus Leipzig grüßt BBe49